Memory Studies global: Aktuelle Studienlage zum kollektiven Erinnern

Die Art und Weise, wie Gesellschaften sich an historische Ereignisse erinnern, prägt Identität, Bildung und politische Orientierung. Gerade in Zeiten zunehmender Desinformation, Antisemitismus und Geschichtsvergessenheit gewinnt die strategische Gestaltung von Erinnerung – sogenanntes Memory-Work – stark an Bedeutung. Internationale Studien liefern dabei zentrale Daten und Erkenntnisse für Bildungseinrichtungen, Gedenkstätten, NGOs und politische Entscheidungsträger.

Die MEMO-Studie (Multidimensionaler Erinnerungsmonitor) der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) ist seit 2018 die wichtigste Langzeitstudie zur kollektiven Erinnerung in Deutschland. Sie analysiert, wie sich das Wissen über historische Ereignisse – insbesondere den Holocaust – im gesellschaftlichen Bewusstsein entwickelt. Die Ergebnisse zeigen, dass Erinnerung stark vom Bildungsstand, der familiären Sozialisation und den Medien geprägt wird. Für strategische Kommunikation und Bildungsangebote liefert die MEMO-Studie eine verlässliche empirische Grundlage.

Auch weltweit rückt das Thema kollektives Erinnern zunehmend in den Fokus empirischer Forschung. Besonders aufschlussreich ist die Claims Conference Holocaust Knowledge and Awareness Study aus dem Jahr 2020, die in den USA durchgeführt wurde. Die Studie offenbarte gravierende Wissenslücken: So kannten 63 % der befragten jungen Erwachsenen nicht die Zahl der ermordeten Jüdinnen und Juden, und 11 % hatten noch nie vom Holocaust gehört. Diese Ergebnisse verdeutlichen, wie brüchig kollektives Erinnern sein kann – und wie notwendig gezielte Bildungs- und Gedenkstrategien sind.

Für 2025 ist eine weitere globale Vergleichsstudie angekündigt: der Eight-Country Index of Holocaust Knowledge and Awareness, eine Kooperation der Claims Conference mit Yad Vashem. Ziel ist es, das Holocaust-Wissen in acht Ländern vergleichbar zu erheben, um datenbasiert auf spezifische nationale Herausforderungen reagieren zu können. Damit wird eine neue, internationale Grundlage für die strategische Weiterentwicklung von Erinnerungskulturen geschaffen.

Auch in Europa wurden relevante Erhebungen durchgeführt. Das Eurobarometer 2018 zur Erinnerung an den Holocaust zeigte deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung und Vermittlung des Themas zwischen west- und osteuropäischen Ländern. Während Deutschland und Frankreich eine stark ausgeprägte Gedenkkultur pflegen, ist die Holocaust-Erinnerung in einigen osteuropäischen Ländern weniger präsent im Schulunterricht und in der öffentlichen Diskussion. Frankreich erhebt darüber hinaus mit dem Baromètre de la mémoire de la Shoah regelmäßig eigene Daten zu Holocaust-Wissen, Antisemitismus und Verschwörungsdenken – ein wertvolles Instrument zur Analyse gesellschaftlicher Einstellungen und Herausforderungen.

Für Institutionen, NGOs oder Unternehmen, die im Bereich der Erinnerungskultur, der historisch-politischen Bildung oder der Gedenkkommunikation tätig sind, lassen sich aus diesen Studien konkrete Handlungsansätze ableiten. Erstens ist es essenziell, länderübergreifende Unterschiede in der Erinnerungskultur zu erkennen und in die eigene Arbeit zu integrieren. Zweitens ermöglichen die empirischen Daten, Wissenslücken gezielt zu identifizieren und entsprechende Bildungsangebote zu entwickeln. Drittens zeigt sich, dass jüngere Generationen anders erinnern – digital, visuell und oft fragmentarisch. Strategisches Memory-Work muss daher auf neue Formate und Kommunikationskanäle setzen, um diese Zielgruppen zu erreichen.

Insgesamt verdeutlicht der Blick auf internationale Studien zur Erinnerungskultur: Erinnerung ist nicht statisch, sondern dynamisch – und sie braucht Strategie. Wer Erinnerung professionell gestalten will, muss lokal verankert und global informiert agieren. Memory-Work heute bedeutet, datenbasiert zu handeln, generationenübergreifend zu kommunizieren und kontextsensibel zu erinnern.